Widerruf Immobiliendarlehen bei fehlerhafter Angabe des effektiven Jahreszinses
Am 21. Oktober 2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) im Urteil XI ZR 133/24 eine entscheidende Klarstellung zum Widerrufsrecht bei Immobilien-Verbraucherdarlehen getroffen. Besondere Bedeutung kommt dem Urteil zu, weil es eine bislang vielfach diskutierte juristische Streitfrage beantwortet: Führt selbst eine geringfügige Abweichung bei der Angabe des effektiven Jahreszinses dazu, dass die gesetzliche Widerrufsfrist nicht zu laufen beginnt? Die BGH-Entscheidung baut auf den besonderen Anforderungen an Transparenz und Verbraucherschutz im Darlehensrecht auf und ist für Verbraucher wie Banken von erheblicher praktischer Tragweite.
Sachverhalt
Die Kläger hatten im Jahr 2012 zwei Immobilien-Verbraucherdarlehen aufgenommen.
Beide Verträge wiesen einen effektiven Jahreszins von 4,06 % aus.
Sachverständigengutachten zeigten später, dass der korrekte effektive Jahreszins 4,07 % betragen hätte, die Angabe also um 0,01 Prozentpunkte zu niedrig war.
Acht Jahre nach Vertragsschluss erklärten die Kläger den Widerruf und beriefen sich darauf, dass die Widerrufsfrist nie zu laufen begonnen habe.
Das Berufungsgericht wies die Klage ab, weil die Abweichung als unerheblich erschien. Der BGH beurteilte dies anders.
Rechtliche Grundlagen
Wesentlich ist die Rechtslage nach dem für ältere Verträge geltenden § 494 Abs. 7 Satz 2 BGB a.F.:
Die Widerrufsfrist beginnt erst zu laufen, wenn dem Darlehensnehmer eine Vertragsabschrift mit allen Pflichtangaben einschließlich der korrekten Angabe des effektiven Jahreszinses überlassen worden ist.
Im Zentrum stehen weiterhin die Vorschriften des § 492 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 247 § 3 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB, die die Pflichtangaben zum effektiven Jahreszins festschreiben.
Leitsätze und Entscheidungsgründe
1. Auch geringfügige Fehler verhindern Fristbeginn
Der BGH betont:
Die gesetzlichen Vorgaben verlangen eine korrekte Angabe des effektiven Jahreszinses.
Ein selbst minimaler Fehler (hier: 0,01 Prozentpunkte) ist erheblich.
Die Widerrufsfrist beginnt nicht zu laufen, solange eine solche Pflichtangabe fehlerhaft bleibt.
Zitat:
„Die Vorschriften lassen keine Bagatellgrenzen zu; der Widerruf konnte daher auch noch nach Jahren wirksam erklärt werden.“
2. Keine entschärfende Korrektur durch andere Methoden
Die Berufung des Berufungsgerichts auf einen geringen Bagatellbereich ist mit dem Gesetz nicht vereinbar, weil der Gesetzgeber bewusst alle Fehler als relevant ansieht, solange sie objektiv vorliegen.
Es ist – anders als bei bestimmten anderen Pflichtangaben – auch nicht ausreichend, wenn der Fehler im Nachhinein als unbedeutend betrachtet wird.
Praktisch bedeutet dies: Ein „ewiges Widerrufsrecht“ droht, bis die fehlerhafte Angabe nachträglich berichtigt worden ist.
3. Missbrauchseinwand bleibt Ausnahme
Allerdings:
Das Berufungsgericht wurde durch den BGH beauftragt, nochmals zu prüfen, ob das Verhalten der Kläger (acht Jahre gewartet, um den Kredit zu widerrufen) als „rechtsmissbräuchlich“ im Sinne von § 242 BGB einzustufen sei. Die Hürde hierfür bleibt aber sehr hoch; eine solche Annahme kommt allenfalls im Ausnahmefall in Frage, wenn die Ausübung des Widerrufsrechts mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht mehr vereinbar ist.
Bewertung im Lichte der bisherigen Rechtsprechung
Der BGH knüpft an frühere Urteile zur Reichweite des Widerrufsrechts an und bestätigt die strikten Anforderungen an die Einhaltung der Pflichtangaben.
Zuvor wurde in Fällen fehlerhafter Angabe des Vorfälligkeitsentgelts oder anderer Nebenpflichten durchweg verlangt, dass die Information ordnungsgemäß nachgeholt wird, bevor die Frist laufen kann.
Die Rechtsprechung steht damit weiterhin auf dem Standpunkt eines „formellen Verbraucherschutzes“, unabhängig vom konkreten Einzelfallinteresse der Parteien.
Konsequenzen für die Praxis
Für Verbraucher:
Selbst bei minimalen Fehlern in den Pflichtangaben besteht ein dauerhaftes Widerrufsrecht, sofern die Angabe nicht korrigiert wurde.
Dies kann insbesondere für Umschuldung oder Rückabwicklung älterer Kreditverträge genutzt werden.
Für Banken/Kreditgeber:
Es besteht ein erhebliches Sorgfaltsrisiko bei der Gestaltung sämtlicher Pflichtangaben, insbesondere beim effektiven Jahreszins.
Nachträgliche Korrekturen sollten so früh wie möglich erteilt werden, um den Beginn der Frist auszulösen und das Risiko eines ewigen Widerrufs zu minimieren.
Für Anwälte/Berater:
Eine genaue Prüfung der Vertragsangaben lohnt sich besonders bei Altverträgen (vor März 2016), da selbst geringfügigste Abweichungen ein wirksames Widerrufsrecht eröffnen können.
Zusammenfassung
Nach dem BGH-Urteil vom 21.10.2025 (XI ZR 133/24) gilt: Bereits geringfügige Fehler in den Pflichtangaben des effektiven Jahreszinses verhindern nach altem Recht den Beginn der Widerrufsfrist im Immobilien-Verbraucherdarlehensrecht. Ein „ewiges Widerrufsrecht“ besteht bis zur Nachholung der korrekten Angabe. Das Urteil stellt klar, dass es für „Bagatellen“ keinen Raum gibt – jeder objektive Fehler ist erheblich. Missbrauchseinwände bleiben nach wie vor seltene Ausnahmefälle.